Babys Schrei nach Freiheit
jetzt täglich zum Sonnenuntergang
Die ersten 6 Wochen wurden wir ja verwöhnt, so dass man fast annehmen konnte, wir hätten die Reinkarnation Buddhas im Haus. Es war alles so easy, wenn auch anstrengend, vor allem durch den verminderten Schlaf. Aber sonst hat er es uns immer irgendwie einfach gemacht...,
...seine Bedürfnisse schnell zu erkennen und zu befriedigen. Es gab für ihn wenig Grund zu weinen oder zu schreien. Selbst bei seinen Verdauungsproblemen konnten wir ihn mit Bauchmassagen und Beckenkreisen immer gut unterstützen - ein fast durchweg zufriedenes Baby.
Vor etwa 2 Wochen hat sich aber etwas verändert.., zum späten Nachmittag oder zum Abend bekommt Liron eine Art Schreiattacke. Er beginnt erst zu weinen und quäken und wir versuchen alle möglichen Angebote zu machen. Essen, Nähe, Unterhaltung, Wickeln... usw. und er steigert sich dann immer weiter rein, bis er manchmal einen knallroten Kopf bekommt und fast am eigenen Atem erstickt.
Wenn das passiert, zerreißt es mir natürlich auch das Herz, aber als er das erste mal so anfing und wir ihn nicht beruhigen konnten, dachte ich:... okay, so schön wie diese Welt ist, so sehr ist sie auch immer wieder zum schreien.. also schrei..., ich lege mich neben dich, halte deine Hand und pass auf dich auf, bis es vorbei ist und du einschlafen kannst. Du darfst schreien... so lange du willst, ich bin bei dir.
An diesem Tag hätte ich auch die innere Ruhe und Kraft gehabt, aber seine Mama war dagegen. Ich bestand auch nicht darauf, es war nur so eine Idee. Denn immer wieder die selben Angebote zu machen, die er dann eh ablehnt, nervt mich dann innerlich und das spürt er. Er benutzt bisher auch keinen Nuckel, aber wenn er so ist versuchen wir ihm den Nuckel dennoch anzubieten. Aber auch das kann ich nicht minutenlang machen. Es fühlt sich für mich an, als würde ich versuchen ihm das Maul zu stopfen... und das ist mir zuwider. Ich stopf meinem Sohn nicht das Maul, auch nicht mit so nem Plastikpimpel.
An den folgenden Schreitagen habe ich gespürt, dass ich wiederholt die emotionale Balance verliere, innerlich genervt bin und die Schreie wie Nadeln im Kopf stechen. Ich hab ihn dann schnell seiner Mama übergeben und sie musste die nächste halbe Stunde mit ihm durchstehen. Sicher, ich habe es zwischen durch auch immer wieder probiert, ihn irgendwie zu beruhigen. Aber wenn er dann so richtig abgedreht ist, dass ihm jeder Atem wegbleibt, bin ich auch schon sauer geworden. Nicht, dass ich ihm was tun würde, aber mein Tonfall war nicht mehr passend, dass er meine Hilflosigkeit und Angst spüren musste.
Seine Mama hat an diesen Tagen jedoch die Ausdauer gehabt, ihm immer und immer wieder alle möglichen Angebote zu machen, bis er nach ca. einer halben Stunde bis Stunde endlich zur Ruhe und in den Schlaf kam. Einmal sah ich wie Anika den schreienden Wurm vor sich auf dem Schoß hatte, sie entschuldigte sich, dass wir nicht verstehen, was er jetzt gerade braucht... und sie hatte Tränen in den Augen. Ich glaube, dass war auch der Tag an dem ich sein Schreien mal persönlich genommen habe! Es kann ja sein, dass ich ihn so auf die Palme bringe... und so bin mit dem Fahrrad raus und fragte mich im Sonnenuntergang, was ihn fast täglich dazu bringt so auszuticken? Die Hitze konnte es nicht sein, da wir mittlerweile auch wieder kühle Tage haben. Aber ich war es wohl auch nicht, denn obwohl ich die Wohnung verlassen habe, hat der Kleine noch eine halbe bis Dreiviertelstunde weitergeschrien.
Anika hat im Netz etwas zu meiner ersten Idee nachgelesen - ihn schreien zu lassen. Es gab wohl früher die Un/Sitte schreiende Babys allein in einem separaten Raum zu stellen. Die Folge ist, dass das Baby tatsächlich irgendwann aufhört, weil es resigniert. Hmmm... will ich, dass der kleine Mensch so früh schon Gefühle von Resignation kennen lernt??? Aber wer sagt uns, dass er nicht auch so resigniert, wenn er von alleine irgendwann aufhört?
Die nächsten Tage kümmerte ich mich dann wieder aktiver, vor allem wenn ich spürte, dass Anika auch mit ihrem Latein am Ende ist. Was bei mir ganz gut funktioniert ist, dass ich ihn auf den Arm mit Blick über meine Schulte nehme, durch das Zimmer gehe und dabei rhythmisch wippe, summe oder leise mit ihm rede. Oft beruhigt er sich dann etwas, aber es schützt nicht davor, dass er sich dann doch wieder steigert und abdreht. Als er letztens dann wieder in meinem Arm so herzzerreißend schrie, hab ich mich davon so berühren lassen, dass mir die Tränen kamen. Es tat mir so verdammt leid, dass er so schreien muss... und während ich meine Tränen fließen lies, hört Liron immer mehr auf und schlief in meinem Arm ein. Dieses Szenario hatte ich zweimal und so entstand in mir die Frage: sind seine Schreie eine Aufforderung an mich, meinen Tränen ihren Fluss zu geben? Ich glaube es ist generell nicht falsch zu fragen: was macht es (sein Verhalten, seine Schreie) mit mir?!
Wir schauen natürlich auch wo die Ursachen liegen könnten. Wir nehmen derzeit an, dass es vielleicht Reizüberflutung ist? Es wäre Zeit für ihn zu schlafen, manchmal sieht er auch müde aus, ist aber hell wach und hat auch für meine Wahrnehmung ein ganz eigenes Bewegungsmuster, wenn er strampelt... er zappelt dann eher und wirkt erregt. Anfangs war es auch nicht täglich und mir fiel auf, dass er bevorzugt Tage mit Rahmenprogramm mit seinen Schreien beendet hat. Aber da der Zeitraum noch sehr kurz ist, kann dies auch täuschen. Denn gestern bspw. hatte er einen ruhigen und schlafreichen Tag und trotzdem ging abends die Luzie ab.
Da wir ihn eh baden wollten und dies bisher immer total entspannend auf ihn wirkte, habe ich schnell die Wanne fertigt gemacht. Kaum war er im warmen Wasser, war er ruhig und wirkte genauso entspannt wie sonst auch. Aber dann wurde er wieder unruhiger, strampelte und fing wieder an zu weinen. Wir haben ihn schnell rausgenommen, vor allem wegen dem Gezappel und weil wir ihm keinen versehentlichen Tauchgang zumuten wollten. Beim Trockenföhnen hat er sich dann wieder entspannt, scheinbar wie immer. Mit dem Anziehen gings dann aber gleich wieder los... also föhnte ich ihn weiter, während Anika hin anzog und er rumgeschrien hat... Es scheint fast so, als wenn er sich erst kaputt schreien muss, dass er seiner Müdigkeit nachgehen kann und in den Schlaf kommt. Das betrifft natürlich nur die abendlichen Schreiphasen... ansonsten schläft er gut ein.
Heute... selbes Spiel. Gegen 18 Uhr kamen meine beiden Lieben nach Hause. Ich hab ihn gewickelt und sauber gemacht und dabei war er schon leicht knatschig. Vor allem hatte er auch wieder dieses eigene Bewegungsmuster, sprich zappeln, statt strampeln... und dann gings auch Stück für Stück weiter, bis er sich in Ekstase geschrien hat. Da ich heute einen Scheißtag hatte, fehlte mir die Ruhe und ich hab mich verpisst. Mutter und Kind ihrem Schicksal überlassen, während ich hier draußen sitze und an diesem Artikel schreibe.
Vor einigen Tagen habe ich in einem Hebammen-Blog von einer Wöchnerin gelesen, deren Baby jeden Tag eine Stunde am Abend ebenfalls aus unerfindlichen Gründen schreit und die Eltern sich ähnlich hilflos fühlen wie wir. Das Fazit war, sowas kommt vor und wir müssen damit leben und umgehen. Okay, das beruhigt insoweit, da wir uns natürlich auch fragen, was wir vielleicht falsch machen. Aber es bleibt weiterhin ätzend, denn wenn er so abdreht zerreißt es uns das Herz.
Mich würde daher folgendes interessieren: kennst du so etwas und wie bist du damit umgegangen? Oder hast du so etwas von anderen gehört und kennst vielleicht interessante Tipps, wie man so ein kleinen Scheißer möglicherweise noch beruhigen kann? Wie hält man als Elternteil die innere Balance ohne, dass das Kind die eigene Ohnmacht und Hilflosigkeit spürt? Ich meine so tun, als wäre ich ruhig – kann ich auch, wenn ich innerlich ge- oder entnervt bin. Aber das ist ja nicht Sinn der Sache.
Was hältst du von dem Gedanken, sich neben das schreiende Baby zu legen, bis es aufhört? Fördert man damit nur das Risiko der Resignation oder wäre das eine Alternative, wenn er sich sonst nicht beruhigen lässt?
Wir freuen uns über deine Tipps, Ideen und Inspirationen... oder einfach nur deine Erfahrungen, gerne auch als Kommentar.