Das Richtige im Falschen
Es gibt kein richtiges Leben im falschen.
Dieser Satz ist weit über die philosophischen Sphären bekannt und selbst auf Facebook wird die Aussage von Theodor Adorno als Lebensweisheit geteilt. Aber wie wird der Satz verstanden?
Adornos „Minima Moralis“ zählt neben der „Dialektik der Aufklärung“ und der "Negativen Dialektik" zu seinen philosophischen Hauptwerken. 153 Aphorismen und kurze Essays über die Bedingungen des Menschseins (conditio humana) unter den kapitalistischen und faschistischen Verhältnissen seiner Zeit.
Ich frage mich: sind die Gedanken Adornos nur Bruchstücke eines vergeblichen Systems, das mit seiner Dialektik in immer derselben Sackgasse landet? Oder: wie ist dieses Feuerwerk hellsichtiger Gedanken möglich, wenn doch die Autonomie, die Bedingung jeder Hellsicht ist und nach Adornos eigenen Prämissen in der "verwalteten Welt" gänzlich unmöglich?
Stellt man Adornos Aphorismen in einen historischen Kontext, dann ist die Minima Moralis die Diagnose einer global organisierten Unmündigkeit und wurde von Adorno in den vierziger Jahren im amerikanischen Exil geschrieben, während die Welt und vor allem Europa unter dem faschistischen Terror litt.
Der sprichwörtlich gewordene Satz: „Es gibt kein richtiges Leben im falschen“ bildet die abschließende Sentenz eines Aphorismus, der die Schwierigkeiten aufzeigt, sich in modernen Zeiten irgendwo häuslich einzurichten.
Deutet man den Satz zynisch, liefe dies auf eine Ausrede hinaus. Es ist völlig gleichgültig was wir tun, denn die Möglichkeiten für ein richtiges Leben bleiben verstellt. Adorno meint aber vielleicht genau das Gegenteil und bekräftigt die Differenz von richtig und falsch. Auch wenn ein im Ganzen richtiges Leben unmöglich ist, so ist es für ein unverblendetes Dasein absolut wichtig, sich den eigenen Sinn für das Richtige weder ausreden noch abkaufen zu lassen.
Deswegen verstehe ich Adornos Gedanken, trotz der Fixierung auf die zerstörerischen Tendenzen der Moderne, als eine Aufforderung: „den Traum eines Daseins ohne Schande“ nicht aufzugeben.
Aus Minimal Moralis - Nr. 18 - Asyl für Obdachlose.
Wie es mit dem Privatleben heute bestellt ist, zeigt sein Schauplatz an. Eigentlich kann man überhaupt nicht mehr wohnen. Die traditionellen Wohnungen, in denen wir groß geworden sind, haben etwas Unerträgliches angenommen: jeder Zug des Behagens darin ist mit Verrat an der Erkenntnis, jede Spur der Geborgenheit mit der muffigen Interessengemeinschaft der Familie bezahlt. Die neusachlichen, die tabula rasa gemacht haben, sind von Sachverständigen für Banausen angefertigte Etuis, oder Fabrikstätten, die sich in die Konsumsphäre verirrt haben, ohne alle Beziehung zum Bewohner: noch der Sehnsucht nach unabhängiger Existenz, die es ohnehin nicht mehr gibt, schlagen sie ins Gesicht. Der moderne Mensch wünscht nahe am Boden zu schlafen wie ein Tier, hat mit prophetischem Masochismus ein deutsches Magazin vor Hitler dekretiert und mit dem Bett die Schwelle von Wachen und Traum abgeschafft. Die Übernächtigen sind allezeit verfügbar und widerstandslos zu allem bereit, alert und bewußtlos zugleich. Wer sich in echte, aber zusammengekaufte Stilwohnungen flüchtet, balsamiert sich bei lebendigem Leibe ein. Will man der Verantwortung fürs Wohnen ausweichen, indem man ins Hotel oder ins möblierte Appartement zieht, so macht man gleichsam aus den aufgezwungenen Bedingungen der Emigration die lebenskluge Norm. Am ärgsten ergeht es wie überall denen, die nicht zu wählen haben. Sie wohnen wenn nicht in Slums so in Bungalows, die morgen schon Laubenhütten, Trailers, Autos oder Camps, Bleiben unter freiem Himmel sein mögen. Das Haus ist vergangen. Die Zerstörungen der europäischen Städte ebenso wie die Arbeits- und Konzentrationslager setzen bloß als Exekutoren fort, was die immanente Entwicklung der Technik über die Häuser längst entschieden hat. Diese taugen nur noch dazu, wie alte Konservenbüchsen fortgeworfen zu werden. Die Möglichkeit des Wohnens wird vernichtet von der der sozialistischen Gesellschaft, die, als versäumte, der bürgerlichen zum schleichenden Unheil gerät. Kein Einzelner vermag etwas dagegen. Schon wenn er sich mit Möbelentwürfen und Innendekoration beschäftigt, gerät er in die Nähe des kunstgewerblichen Feinsinns vom Schlag der Bibliophilen, wie entschlossen er auch gegen das Kunstgewerbe im engeren Sinne angehen mag. Aus der Entfernung ist der Unterschied von Wiener Werkstätte und Bauhaus nicht mehr so erheblich. Mittlerweile haben die Kurven der reinen Zweckform gegen ihre Funktion sich verselbständigt und gehen ebenso ins Ornament über wie die kubistischen Grundgestalten. Das beste Verhalten all dem gegenüber scheint noch ein unverbindliches, suspendiertes: das Privatleben führen,: solange die Gesellschaftsordnung und die eigenen Bedürfnisse es nicht anders dulden, aber es nicht so belasten, als wäre es noch gesellschaftlich substantiell und individuell angemessen. »Es gehört selbst zu meinem Glücke, kein Hausbesitzer zu sein«, schrieb Nietzsche bereits in der Fröhlichen Wissenschaft. Dem müßte man heute hinzufügen: es gehört zur Moral, nicht bei sich selber zu Hause zu sein. Darin zeigt sich etwas an von dem schwierigen Verhältnis, in dem der Einzelne zu seinem Eigentum sich befindet, solange er überhaupt noch etwas besitzt. Die Kunst bestünde darin, in Evidenz zu halten und auszudrücken, daß das Privateigentum einem nicht mehr gehört, in dem Sinn, daß die Fülle der Konsumgüter potentiell so groß geworden ist, daß kein Individuum mehr das Recht hat, an das Prinzip ihrer Beschränkung sich zu klammern; daß man aber dennoch Eigentum haben muß, wenn man nicht in jene Abhängigkeit und Not geraten will, die dem blinden Fortbestand des Besitzverhältnisses zugute kommt. Aber die Thesis dieser Paradoxie führt zur Destruktion, einer lieblosen Nichtachtung für die Dinge, die notwendig auch gegen die Menschen sich kehrt, und die Antithesis ist schon in dem Augenblick, in dem man sie ausspricht, eine Ideologie für die, welche mit schlechtem Gewissen das Ihre behalten wollen. Es gibt kein richtiges Leben im falschen.